Hat das Internet den Punk wiederbelebt?
Das Jahr 2000. Punk ist tot, mal wieder oder eben immernoch. Doch die werdenden Punks der Generation Y ahnen noch nicht, welche Neuerungen ihnen das kommende Jahrzehnt bieten wird. Nachdem Punk jahrzehntelang eine verschworene Gruppe war, deren Geheimnisse nur in Fanzines oder durch Mund-zu-Mund-Propaganda den Weg in die nächste Generation fanden, eröffnen das Internet und neue Technologien der Telekommunikation ungeahnte Möglichkeiten. Computer halten Einzug die Haushalte, auch die der nicht-Nerds. Internetanschlüsse verbreiten sich rasant. Auf einmal kann sich jede noch so unerfahrene Band, jedes kleine Hobby-Label und jeder Veranstaltungsort in Hinterkaffingen selbst auf Homepages und später in sozialen Netzwerken präsentieren. Durch eine bessere Informationspolitik wird die szeneinterne Kommunikation vereinfacht, Termine mit größerer Reichweite durchgegeben werden. Die Möglichkeiten, sich über Foren, Messengerdienste und natürlich Handyanrufe und Kurznachrichten zu vernetzen, vereinfacht die Kontaktaufnahme zwischen Bands, Veranstalter:innen und Labels – vorbei die Zeiten, in denen man im Elternhaus der anderen auf dem Festnetz anrufen und hoffen muss, dass das Telefon an die gewünschte Person weitergereicht wird. Navigationssysteme erlauben die sichere Anreise in weiter entfernte Städte, ohne sich im Straßenatlas zu verlieren.
Hat das Internet den Punk getötet?
Filesharing wird in den 2000ern zum Albtraum der Musikindustrie, aber auch im Underground der Subkultur geht der Konsum physischer Tonträger durch die digitale Verbreitung zurück. Viele Printmagazine, die klassischen selbstkopierten A5 Punk-Fanzines, die ältesten und wichtigsten Kommunikationsmitteln der Szene, beschränken sich auf digitale Auftritte und mutieren oft zu reinen News-Plattformen. Linke Ansprüche von „Keine Namen, keine Strukturen“ und Datenschutz werden für ein attraktives Profil in den sozialen Medien aufgegeben. Smartphones sind auf Veranstaltungen schneller gezückt, als man „Keine Fotos!“ rufen kann und so mancher Altpunk singt einen Abgesang auf die geradezu mysteriöse Aura der Szene, wenn man doch jetzt in Foren alle Codes und Interna ergoogeln kann.
Und wir Millennials mitten drin
Die 2000er boten gesellschaftliche Entwicklungen und Veränderungen, die uns alle betrafen: 9/11 und der Irakkrieg, Hartz IV und Angela Merkel, Gentrifizierung und immer neu aufflammende Hetze gegen Geflüchtete. Unsere Interviews werden durch historische Materialien wie Flyer, Poster, Fotos und Videoeinspieler aus der Zeit ergänzt, um ein umfassendes Bild der Subkultur zu zeichnen. Denn auch wenn Punks sich offiziell gern gegen technische Neuerungen sträuben: überall finden sich noch fotografische Selbstporträts mit einem Haufen Kajal, geschossen mit der ersten eigenen Digitalkamera und später Selfies mit dem Smartphone.
Die Doku
Das alles und noch viel mehr wollen wir in unserer Filmdokumentation beleuchten: Sie soll die verschiedensten Perspektiven von Millennial Punks über ihre Subkultur zwischen 2000 und 2020 in Deutschland vereinen, vom befürchteten Jahr-2000-Computerproblem bis zur Verlagerung des sozialen Lebens ins Internet aufgrund der Covid19-Pandemie 2020. Ziel ist es, den Einfluss des Internets auf die Szene zu ergründen und dabei sowohl die kulturellen als auch gesellschaftlichen Entwicklungen dieser Zeit zu reflektieren. Die Interviewthemen reichen dabei von Kommunikationsstrukturen bis hin zur Veränderung der Konsumgewohnheiten von Musik. Dabei legen wir Wert darauf, den Underground der Szene zu beleuchten, fernab von chartrelevanten Bands wie den Toten Hosen oder die ärzte. Es sollen neben Bands auch Veranstalter:innen, Leute aus Hausprojekten und Konzertbesucher:innen aus dieser Zeit zu Wort kommen.
Dabei wollen wir nicht nur die immer gleichen Geschichten um Alkoholexzesse alternder Musiker hören, sondern den Zuschauer:innen ein vielfältiges Bild einer den ständigen für-tot-Erklärungen zum Trotz durchaus lebendigen Subkultur vermitteln. Aber es soll auch persönlich und durchaus nostalgisch werden: Wir tauchen ein in die Vergangenheit der Punk- und Underground-Szene, begeben uns auf die Spuren unserer Adoleszenz und schwelgen mit alten Mitstreiter:innen in Erinnerungen. Ein zentrales Anliegen unserer Dokumentation ist es, Interviews mit unterschiedlichen Akteur:innen aus der Szene zu gestalten. Dabei liegt unser Fokus auf FLINTA Personen, die trotz geringer Sichtbarkeit auf der Bühne eine bedeutende Rolle als Veranstalter:innen, Fanzine-Autor:innen und Kulturschaffende spielten. Wir wollen gleichermaßen Akteur:innen aus den alten und neuen Bundesländern zu Wort kommen zu lassen, um die Vernetzung und den Austausch in der gesamten Bundesrepublik zu verdeutlichen. Unsere Dokumentation soll nicht nur digital veröffentlicht, sondern auch in einer kleinen Screening-Tour präsentiert werden, um das vielfältige Bild der lebendigen Punk-Subkultur einem breiteren Publikum zugänglich zu machen.